1927 | großes Konzertcembalo Pleyel Modell "Wanda Landowska" #183548/22
Abbildung oben: Pleyel: registre de fabrication - Années 1924 à 1930 - Pianos : n° de série 175 851 à 190 050 - N° inv. E.2009.5.22, page154 (extrait)
Identifikation: Vorsatz: Pleyel / Facteur à Paris / Fondé en 1807, Schrift auf Dockenleiste: Le Jeu grave <dit par les Anciens "de 16 Pieds"> fut introduit dans les Clavecins Pleyel à partir de l'année 1912, sur la demande & les suggestions de // Wanda Landowska. Nummer auf Unterboden vorne rechts: 183.548 (d.i. fortlaufende Nummer im Auslieferungsbuch Pleyel = Verkaufsdatum ["Date de Vente"] 6. Oktober 1927), und 22 (d.i. die fortlaufende Separat-Zählung der Pleyel-Cembali). Die Nummer 22 findet sich noch einmal auf dem Stimmstock, dort aber auch weitere Nummern: 68F380 (d.i. Fertigungsnummer, ergibt "Date d'arrivée de l'usine" = 29. September 1927) unsicher zu lesen, diese Nummer ebenfalls undeutlich auf Vorsatzbrett ohne Buchstabe) sowie 185.548 (ebenfalls unsicher zu lesen, siehe Foto). Die Lesweisen von Fertigungsnummer und Auslieferungsnummer werden durch das originale Auslieferungsbuch (s.o.) der Fa. Pleyel bestätigt.
Die Fotos zeigen das Instrument im "Bergezustand"; auf der Dockenleiste die oben wiedergegebene Schrift. |
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Korpus farblich gefasst: türkisfarben, golden abgesetzt (nach Aussage aller Befragten ist die farbliche Fassung original; dies bestätigt auch das Auslieferungsbuch der Fa. Pleyel, s.o.; nach Konsultation des Fabrikationsbuches war diese Ausstattung "en blanc non plaqués" wohl nicht einmalig; es scheint jedoch eine Sonderausstattung gegeben zu haben, die das Instrument deutlich teurer werden ließ als die übrigen dieser Fertigungsgruppe; sowohl das Fabrikations- wie das Auslieferungsbuch belegen, dass Hans Eberhard Hoesch direkt bei Pleyel bestellte und nicht über einen Händler).
- Länge: 255 cm
- Breite: 110 cm
- 5 kannelierte Beine: 2 vorne, 2 hinten, 1 am Ende der geraden Diskantwand
- Untertasten unteres Manual (I): 125 mm sichtbare Länge
- Untertasten oberes Manual (II): 115 mm sichtbare Länge
- Stichmaß: 500 mm [= moderne Klaviermensur]
- Umfang: F1 f3 = fünf Oktaven
- 5 klingende Register: 81' (I), 16' (I), 4' (I), 82' (II), 82'-nasal (II) + Laute (auf 81'); umsponnene Basssaiten, Lederkiele
- Dämpfer zum Teil als Fähnchendämpfer am Springer, für den 16' als Oberdämpfer mittels Einzelhebegliedern. Beim Niederdrücken einer Taste des Untermanuals wird jedes Mal auch der jeweilige Dämpfer der 16'-Saite freigegeben und kann mitschwingen. Die Springer ohne Fähnchen-Dämpfer haben ein diesem ähnlichen befilzten Halte-Finger, der das Hinunterfallen der Springer im Augenblick des Herausziehens der Klaviatur verhindert. Die seitliche Führung der Springer wird durch Messing-Federn unterstützt.
- Register- und Koppelschaltung durch 7 Pedale (von links) 16' (I), 4' (I), 8'(I), Laute, Koppel II/I, 8' nasal (II), 8' (II); bestimmte Pedale schalten durch Tritt, manche durch Lösen "ein", so z.B. Pedale 6 und 7 quasi "alternierend": beide Pedale getreten = nasal, beide Pedale gelöst = ordinario.
- Bezüge auf drei Ebenen und über drei Klangstege geführt: zuunterst der 4'-Bezug, mittig die beiden 8'-Bezüge auf gemeinsamem Steg, oben der 16'-Bezug. Dadurch große Höhe des Gussrahmens, dadurch wiederum besonders schwerer Gussrahmen und hohes Instrumenten-Gesamtgewicht. Zum Vergleich: Das Konzertcembalo von Maendler-Schramm führt die ebenfalls vier Bezüge auf lediglich zwei Ebenen.
- Besondere Wirbel: Alle Wirbel sind als Zwillingswirbel ausgelegt. Diese Zwillingswirbel befinden sich in einer metallenen Wippe - es gibt also im engeren Sinne keinen "Stimmstock". Dem Aufziehen der Saite dient eine federbelastete Klinke (erster Wirbel, vom Steg aus gesehen); der zweite Wirbel ist der Feinstimmer, der die Neigung der Wippe bestimmt und dadurch den Saitenzug verringert oder vergrößert.
Zur Baugeschichte der Pleyel-Cembali im Allgemeinen: Auf der Pariser Weltausstellung 1889 war die Firma Pleyel einer von drei Ausstellern von neu gebauten Cembali. Während ein Mitbewerber, die Fa. Louis Tomassini, sich stark am historischen, um das Jahr 1800 vom Pianoforte-Bau verdrängten Cembalo-Bau orientierte und diesen zu kopieren suchte, stellten die Firmen Pleyel und Erard je eine Kombination der tradierten Kiel-Mechanik mit den Innovationen des Klavier- bzw. Konzertflügelbaus des 19. Jahrhunderts aus. Dieses "unhistorische" Baukonzept sollte bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus das maßgebliche werden, bis sich - mit deutlich verminderten Stückzahlen - das Nachbauen historischer Originale zum Standard entwickelte.
Die Pariser Weltausstellung 1889 setzte einen ersten Akzent, bereitete den Boden, hatte aber noch keine besondere Breitenwirkung bzgl. der Rezeption des "vergessenen" Cembalos. Diese Breitenwirkung setzte eine Generation später ein: In Zusammenwirken mit der medienaktiven Konzertpianistin bzw. (ab 1903) Cembalistin Wanda Landowska (1879-1959), durch deren Auftritte und Schallplatten-Einspielungen die Renaissance des Cembalos (und des Cembalo-Baus) zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Schwung kam, erhielt das von ihr 1912 "designte" Pleyel-Cembalo eine besondere Bedeutung für das internationale Musikleben.
Von großer Nachhaltigkeit war hierbei die (Wieder-)Einführung des aus dem deutschen Cembalobau der Barockzeit stammenden 16'-Registers in den "neuen" Cembalobau im Jahre 1912; dies geschah auf ausdrücklichen Wunsch von Wanda Landowska (siehe Inschrift) in diesem entscheidenden Augenblick der Cembalo-Renaissance. Als Vorbild für diese Disposition diente Wanda Landowska ein historisches Original-Instrument des Hamburger Cembalobauers Hieronymus Albrecht Hass (1689-1752) im Museum Brüssel. Pleyel übernahm auch das Längenmaß des Hassschen Instrumentes. Das von der Firma Pleyel entwickelte Cembalo-Modell "Landowska" wurde dabei zum vielfach kopierten, dabei in seiner Qualität aber nur selten erreichten Prototypen für die Cembalo-Konstruktionen der gesamten Branche - und ist mittlerweile selbst "historisches" Instrument und Sammlerobjekt.Das Landowska-Pleyel-Cembalo war Vorbild für mehr als eine Generation von Cembalo-Bauern; Cembali mit gusseisernem Rahmen wurden nachweislich noch bis in die 1970er Jahre gefertigt (siehe z.B. die Hutzelmann-Cembali in der Sammlung Dohr; das letzte Landowska-Pleyel-Cembalo wohl ebenfalls Anfang der 1970er Jahre); Zwitterkonstruktionen ersetzten bald den in der Herstellung aufwändigen Gussrahmen durch eine schwere Holzrastenbauweise.
Pleyel baute ausschließlich große Konzertcembali, insgesamt im Laufe von vielleicht 70 Jahren knapp 70 Instrumente. Für diese Annahme sprechen die bekannt gewordenen Nummern erhaltener Pleyel-Cembali. Das Archiv der Fa. Pleyel/Paris ist wohl im Krieg vernichtet worden [Information von Wolf-Dieter Neupert, Bamberg]; der Instrumentenkundler Dr. Martin Elste (Berlin) spricht im Herbst 2009 in einem Interview von 170 Instrumenten, doch scheint diese Zahl viel zu hoch gegriffen zu sein. Es gab zwei Typen: ein Modell mit sechs Pedalen - ohne Nasal-Register - und ein Modell mit sieben Pedalen.
Kurzcharakteristik des Instrumentes der Sammlung Dohr: Das Pleyel-Cembalo #22 markiert auf besondere Art den Beginn der historisierenden Aufführungspraxis in Deutschland, da es vom Hagener Großindustriellen und Mäzen Hans Eberhard Hoesch im Jahre 1927 für seine damaligen Konzerte erworben wurde. Es ist keine Kopie eines historischen Instruments, sondern eine in Zusammenarbeit mit Wanda Landowska entstandene Pleyelsche Eigenkonstruktion, die auf der Basis der Erkenntnisse des modernen Klavierbaus die Disposition des Hass-Cembalos im Brüsseler Museum adaptierte.
Das hier beschriebene Instrument ist ein "Landowska"-Konzertcembalo mit der sog. "Bach-Disposition", erweitert um ein zusätzliches 8'-Nasalregister im II. Manual. Im Vergleich zu den übrigen großen Rasten-Cembali der Sammlung Dohr fällt beim Pleyel-Cembalo die starke Nähe zum historischen Klangbild - trotz der oben beschriebenen deutlich von der historischen abweichenden Bauweise - auf. Das Spielgefühl ist jedoch - bedingt durch Lederkiele und der vom Konzertflügelbau übernommenen Mensur ("Stichmaß") - eher dem eines modernen Konzertflügel ähnlich.
Das Instrument weist eine archaisierende "Fassung" (helles türkis, mit echtem Blattgold abgesetzt) des Gehäuseäußeren, der Beine und der Lyra auf, die derzeit für kein anderes erhaltenes Pleyel-Cembalo Modell "Landowska" nachweisbar ist (alle anderen bekannten Pleyel-Cembali sind in poliertem Mahagoni gehalten). Das Instrument besitzt auch an der Korpus-Innenwand eine überfurnierung mit einer helleren Holzart. Hoesch zahlte in Dollar, obwohl das Pleyelsche Auslieferungsbuch für deutsche Kunden in dieser Zeit durchaus auch Mark-Beträge enthält (alle Fremdwährungen jeweils mit Umrechnung in Französische Frank). Das für Hoesch bestimmte Instrument war mit $ 2.050,-- (= FF 52.210,-- "prix net") mit Abstand das teuerste Exemplar des fünfregistrigen Konzertcembalomodells, das zu dieser Zeit die Pleyelsche Fertigung verließ.
zur Datierung: (a) Die Auslieferungsbücher der Firma Pleyel stehen online auf http://archivesmusee.citedelamusique.fr/pleyel/archives.html. Diese Auslieferungsbücher erklären die beiden "Serien-Nummern" durch ihre Legenden: Die Zahl 183548 ist die fortlaufende Nummer im Auslieferungsbuch ["Numéro de Sortie"]; die Zahl 68F380 ist die Fertigungsnummer ["Numéro de fabrication"], wobei in älteren Auslieferungsbüchern (z.B. für die Jahre um 1911) das "F" noch geschrieben wurde und später, z.B. beim Eintrag 1927 (Pleyel: registre de fabrication - Années 1924 à 1930 - Pianos : n° de série 175 851 à 190 050 - N° inv. E.2009.5.22, page154), ausgelassen und durch ein Spatium substituiert wird. Für einen bestimmten Zeitraum weisen Pleyel-Cembali neben diesen beiden Nummern noch eine eigene, fortlaufende Zählung auf. Diese scheint jedoch irgendwann aufgegeben worden zu sein. Trotz aller Recherchen ist derzeit noch ungewiss, ob die selbstständige Zählung der Pleyel-Cembali mit dem ersten jemals bei Pleyel gebauten Cembalo (also 1889) oder erst mit dem Modell "Wanda Landowska" startet. Hier könnte eine konsequente Auswertung aller Produktions- und Fertigungsbücher von Pleyel (s.u.) helfen.
(b) Die Produktionsbücher der Firma Pleyel stehen ebenfalls online auf http://archivesmusee.citedelamusique.fr/pleyel/archives.html. Das Produktionsbuch Pleyel : registre de fabrication - Années 1926 à 1937 - Pianos : n° de série F67701 à F80060- N° inv. E.2009.5.6, Elément 15 zeigt, dass Pleyel die Cembali in Kleinserien herstellte; so wurde 1926 eine Serie von zwölf Cembali mit den Produktionsnummern F68377 bis F68388 aufgelegt, die in den verschiedensten Korpusausführungen innerhalb eines Zeitraumes von knapp zwei Jahren verkauft wurden (davon immerhin drei Instrumente nach Deutschland). Zu diesem Zeitpunkt listen die Fabrikationsbücher noch recht detailliert, welche (Vor-)Arbeiter in den verschiedenen Gewerken am jeweiligen Instrument arbeiteten. Ein anderes Beispiel: Am 13. März 1930 wurde eine Gruppe von zehn Cembali (in diesem Falle in sehr ähnlicher Korpusausführung) aufgelegt, die in 1931 verkauft wurden. Zu dieser Zeit wurden die Fabrikationsbücher leider nicht sehr sorgfältig geführt - vielleicht aufgrund des Kostendruckes in der Weltwirtschaftskrise: Es fehlen fast sämtliche Einträge!
(c) Das zweimanualige Cembalo von Pleyel, Wolff, Lyon & Cie., Paris 1905 (Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung PK, Katalog-Nr. 5572) soll das 10. oder 11. überhaupt von Pleyel gebaute Cembalo gewesen sein. Wanda Landowska stellte das nach ihren Vorstellungen gebaute Pleyel-Cembalo erstmals auf dem Bachfest Breslau 1912 der öffentlichkeit vor. Ein zeitweise zur Sammlung Neupert II gehöriges Pleyel-Cembalo weist folgende Nummern auf: 81946/197.231/61 und datiert in das Jahr 1939. Das "Dürener Pleyel-Cembalo" der Familie Eberius weist folgende Nummern auf: 79258/191.388/unbek. und datiert in das Jahr 1931. Dem Anschein nach gibt es drei Nummernkreise: Der sechsstellige Nummernkreis gliedert die Cembali in die Gesamtproduktion von Pleyel ein. Die letzte, kleine Nummer stellt eine fortlaufende Zählung der von Pleyel gebauten Cembali dar.
Exkurs zur Registrierung: Die um das im Ober-Manual befindliche 8'-Nasal-Register erweiterte sog. "Bach-Disposition" ermöglicht eine große Anzahl von Registriermöglichkeiten, die sich erst recht erweitern, wenn man das Terrain des "Konventionellen" verlässt und beginnt, dieses Cembalo nicht nur als "Adaption" der historischen Vorlage (Cembalo von Hieronymus Hass), sondern als modernes Musikinstrument des 20. Jahrhunderts zu begreifen willens ist. Hier einige erprobte Beispiele (je entsprechende Literaturstücke vorausgesetzt - nicht alles "passt "und "geht" immer; die Klangcharakteristiken sind z.T. typisch für das Pleyel-Konzertcembalo und nicht auf andere Cembali gleicher Disposition übertragbar):
I 16'+8'+4', II 8'+8'n, II/I = "Tutti" (5 Register) | I 4' solo - 8va bassa gespielt = weiterer 8'-Klang | II 8'+8'n = Klangeffekt von 8'+4' |
I 16'+8'+4'; II 8' = "normales volles Werk", ggf. mit Manual II als konventionellem, leisem Echo | I 4', II 8', II/I = obertönigere, schlankere Kombination | I 4', II 8'n, II/I = ähnlich wie zuvor, jedoch nicht "ein Ton", sondern stets "gestimmte Oktave" |
I 16'+4', II 8', II/I = ähnlich, aber anders | I 8', II 8'+8'n, II/I = massiver, aggressiver 8'-Klang | I 4', II 8'n, II/I = apart, synthetisch |
I 16', II 8'+8'n, II/I = zugleich "voll" und "gestört fragil" | I 8'+4', II 8' = klassische Abstufung - Echoeffekt | I 4', II 8'+8'n, II/I = wie zuvor, stärker |
I 16' solo - 8va alta gespielt = weiterer 8'-Klang, lautenähnlich | I 8'+4', II 8'+8'n = "a due claviere - Farbverschiedenheit" | I 16' + 4' = Spaltklang |
I 16', II 8'L, II/I = Theorbenklang, aufgehellt | I 8', II 8' "a due clav. - kleine Lösung" | I 16' solo = Theorbenklang, enorme Tragkraft, Sonorität, Basswirkung |
Voreigentümer: Das Instrument wurde für die als "Kabeler Konzerte" in die Musikgeschichte eingegangenen Veranstaltungen des Hagener Papierfabrikanten, Instrumentensammlers, Instrumentenbauers, Musik-Pioniers und Mäzens Hans Eberhard Hoesch (1891-1972), im Jahre 1927 erworben. Hoeschs zweite Ehefrau Martha geb. Kerkhoff (geb. 5. August xxxx, Eheschließung 1922, gest. 25. Juli 1928) war sehr musikliebend und sorgte mit dafür, dass den Hauskonzerten Hoesches eine größere, stabilere Form gegeben wurde. Der Erwerb des Pleyel-Cembalos ist also mit Sicherheit eine Frucht dieser Musik liebenden ehelichen Verbindung:
"Hoesch gehörte bereits in den 1920er Jahren zu den ersten, die historische Instrumente und alte Partituren sammelten und wurde damit zum vielleicht wichtigsten Wegbereiter der Historischen Aufführungspraxis. Hoesch gründete überdies ebenfalls in den 1920er Jahren mit der Kabeler Kammermusik das erste Originalklang-Ensemble überhaupt im deutschsprachigen Raum." (Westfalenpost, s.u.)
Hoesch initiierte u.a. 1930 die "Kabeler Kammermusik", in der wenig später Gustav Scheck und August Wenzinger federführend wurden, bevor diese - aufgrund des Todes der dritten Ehefrau von Hoesch (Inga Torshof, Altistin; Eheschließung ca. 1930, Tod im Kindbett am 29. März 1934), insbesondere wohl aber auf politischen Druck - eingestellt wurde (alle Angaben nach Palézieux, aufbereitet nach Telefonat mit Jan Hoesch am 15.02.2015).
In der Schwerter Straße 241 in Hagen befand sich der Musiksaal von Hans E. Hoesch mit 300 Plätzen. Reproduktion einer Postkarte (Ausschnitt) vom Ende der 1920er-Jahre oder Beginn der 1930er-Jahre. Sie zeigt den Saal bzw. die Bühne der "Kabeler Konzerte". Links das Pleyel-Cembalo #22 Modell Wanda Landowska. Original-Postkarte: Sammlung Dohr.
Nach dem Ende des Nationalsozialismus gab es ein gewisses Wiederaufleben der "Kabeler Konzerte". Manna Hoesch, eine Tochter aus Hoeschs Ehe mit Martha Kerkhoff, hatte sich als Cembalistin ausbilden lassen. Manna Hoesch wirkte z.B. beim Bachfest 1950 der Stadt Hagen mit und spielte dabei auf einem Cembalo der väterlichen Sammlung: "Die Instrumente stammen aus der Sammlung und Werkstatt des Herrn Hans E. Hoesch, Hagen." (Palézieux, S. 136). Ein Foto (Hagener Kulturring 1985, S. 70; siehe Literatur) vom "Konzert des Kammerorchesters [...] am 27. Juni 1950 anläßlich der Bachtage" zeigt Manna Hoesch am Cembalo - allerdings nicht am Pleyel-Cembalo #22. Weitere öffentliche Auftritte von Manna Hoesch sind nach einer online-Recherche [2008] u.a. in Coesfeld für die Jahre 1958 und 1963 nachweisbar; die dortigen Programme dürften aber an einigen weiteren Orten gespielt worden sein.
Zu einem späteren Zeitpunkt ging das Pleyel-Cembalo #22 in das Eigentum von Manna Hoesch über. Anfang der 1950er-Jahre kaufte Dr. Helmut Stoltenberg aus Leverkusen das Instrument auf Vermittlung des Instrumentenkundlers Dr. Walther Thöne von Manna Hoesch, die mittlerweile in Düren lebte, an. Seine Tochter Renate Stoltenberg, eine Schwägerin des Kölner Musikwissenschaftlers Prof. Dr. Klaus-Wolfgang Niemöller, verkaufte das Instrument in leidlich spielbarem Zustand ca. Anfang der 1970er an den Bedburger Gymnasialmusiklehrer Dr. Klaus Weiler, der es an das Silverberg-Gymnasium bzw. die Stadt Bedburg weiterveräußerte. Das Instrument stand dann viele Jahre wenig beachtet und allmählich verfallend zunächst im alten, später im neuen pädagogischen Zentrum des Gymnasiums. Eine Restaurierung ca. 1986/1987 (Kosten: DM 4.000,--) durch die Klavierbauwerkstatt Georg Wendel, Köln-Weiden, hatte nicht zur Spielbarkeit des Instruments geführt, sondern mündete in einen Eklat besonderer Art: Ein eigens nach der Restaurierung für Freitag, den 29. Mai 1987 angesetztes Konzert musste wegen der zu Beginn desselben ad hoc festgestellten Unspielbarkeit des Pleyel-Cembalos auf einem Klavier durchgeführt werden (Mitteilung der Schulsekretärin, Mai 2008); das Instrument stand danach zwei Jahrzehnte unbeachtet im Stuhllager und konnte 2007/2008 durch Vermittlung einer Musiklehrerin des Gymnasiums von der Stadt Bedburg für das Pianomuseum erworben werden. Das Instrument war äußerlich in leidlichem (jahrelange Lagerung im Stuhllager der Schulaula als Quasi-Fremdkörper) und im Inneren im Beinahe-Originalzustand. Eine Restaurierung (neue Lederbekielung, Intonation, Regulierung der Mechanik, Aufarbeitung der Oberfläche) und damit die Wieder-Spielbarmachung dieses besonderen Instrumentes geschah in den Monaten März bis September 2009 durch die Firma J. C. Neupert Bamberg.
Literatur:
- Georg Kinsky, Cembalo-Rekonstruktionen. in: Musikhistorisches Museum von Wilhelm Heyer, Erster Band, Cöln 1910, S. 110
["Die Clavecins von Pleyel, Wolff & Cie in Paris sind durch Konzerte der ausgezeichneten Pianistin Wanda Landowska auch in Deutschland bekannt geworden. Sie sind mit zwei Manualen, dreifachem Saitenbezug (zwei Chöre im 8'- und ein Chor im 4'-Ton) und sechs Pedalen ausgestattet."] - J. A. Richard: The Pleyel Harpsichord, in: The English Harpsichord Magazine Vol. 2 N. 5 (1979).
- Hans E. Hoesch und die Kabeler Kammermusik. Eine Dokumentation anläßlich der 40. Wiederkehr der Gründung des Hagener Kulturrings, hg. vom Hagener Kulturring e.V., Fritz Werner Körfer. Hagen: Selbstverlag des Kulturrings 1985.
[Bedeutende Veröffentlichung zu Hans Eberhard Hoesch und seinen Aktivitäten als Sammler, Instrumentenbauer, Konzertveranstalter, Ideengeber, Keimzelle der historisierenden Aufführungspraxis. Viele seltene Fotos (auf S. 36 das Foto des Kabeler Kammermusiksaals mit dem Pleyel-Cembalo #22 auf der Bühne), zahlreiche Dokumente im Anhang; enthält u.a. den Erstdruck des 1992 nachgedruckten Vortrags/Textes August Wenzinger, Hans Eberhard Hoesch und die Kabeler Kammermusik] - Jürgen Schof, Aus dem Haus Pleyel ins pädagogische Zentrum. Das Bedburger Gymnasium besitzt ein einzigartiges Instrument, in: Kölner Stadtanzeiger vom 15. Mai 1987 [enthält kaum brauchbare, nämlich überwiegend falsche Angaben].
- August Wenzinger, Hans Eberhard Hoesch und die Kabeler Kammermusik. in: Alte Musik II. Konzert und Konzeption. Sonderband der Reihe "Basler Jahrbuch für Historische Aufführungspraxis" zum 50. Jubiläum des Vereins der "Freunde alter Musik in Basel". Winterthur: Amadeus 1992, S. 69-79.
Es handelt sich um den Wiederabdruck des Aufsatzes aus der Dokumentation des Hagener Kulturrings vom 11. November 1985 (s.o.), des Festvortrags Wenzigers vom selben Tag in der Stadthalle Hagen aus Anlass des 40-jährigen Bestehens des "Hagener Kulturrings". Der Aufsatz/Festvortrag von Wenzinger als einem der zentralen Interpreten der "Stunde Null" der historischen Aufführungspraxis in Deutschland ist in seiner Strukturiertheit und Aussagekraft immer noch von zentraler Bedeutung!
Wenzinger schreibt auf S. 71: "Mit dem Kauf eines Pleyel-Cembalos im Jahre 1926 trat die Pflege der Barockmusik in den Vordergrund. Es wurde von der Berliner Cembalistin Alice Ehlers in einem Hauskonzert am 30. Januar 1927 eingeweiht." Die Aussage an sich ist richtig, auch wenn die Daten nicht zu den in den Akten der Fa. Pleyel dokumentierten Daten passen! - Martin Elste, Nostalgische Musikmaschinen, in: Kielinstrumente, hrsg. vom Staatlichen Institut für Musikforschung Preuß. Kulturbesitz, Berlin 1991, S. 239-277.
- Horst Rase, Renaissance des Cembalos. Beschreibung der Instrumente [Erard, Pleyel, Tomasini ...], in: Kielinstrumente, hrsg. vom Staatlichen Institut für Musikforschung Preuß. Kulturbesitz, Berlin 1991, S. 278ff.
- Dieter Gutknecht, Kabeler Kammermusik und Hans Eberhard Hoesch, in: ders., Studien zur Geschichte der Aufführungspraxis Alter Musik. Ein überblick vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. Köln: Concerto Verlag 1993, S. 194-202.
- Charles Timbrell: Art. Pleyel, Ignace-Joseph (et Cie). in: Robert Palmieri (Hg.): Encyclopedia of the Piano, New York / London 1996, S. 296 f. [insbes. S. 297: Gibt 1912 als Entstehungsjahr für das "Modell Wanda Landowska" an].
- Willem de Vries, Fallstudie Wanda Landowska. in: Sonderstab Musik, Köln 1998, S. 309-328, insbes. S. 311 [Liste der geplünderten Instrumente; Landowska besaß die Pleyel-Cembali #48 und #51].
- Edward L. Kottick, Wanda Landowska and her Pleyel. in: ders.: A History of the Harpsichord. Blomington & Indianapolis: Indiana University Press 2003, S. 425-429. [Kottick beschreibt sehr detailliert die Karriere von Wanda Landowska und die Besonderheiten des von ihr mitentwickelten Pleyel-Konzertcembalo-Modells.]
- Jan Großbach, Atlas der Pianonummern. Frankfurt: 10. Aufl. 2005, S. 262f.
- Barbara Willer (?): Harnoncourt, Hoesch und Hagen. in: Westfalenpost vom 21. Januar 2008, Kulturseite.
- Wolf Dieter Neupert, Cembalo oder moderner Flügel. in: Christian Ahrens und Gregor Klinke (Hg.): Cembalo, Clavecin, Harpsichord. Regionale Traditionen des Cembalobaus. München: Katzbichler 2011, S. 185-196.
[u.a. zur Bedeutung der Pianistik von Wanda Landowska beim entscheidenden Wettspiel "Cembalo gegen Konzertflügel", das Landowska auf einem Pleyel-Cembalo für sich entschied und damit die Renaissance des Spiels auf historischen Tasteninstrumenten einleitete]. - Nikolaus de Palézieux, Pionier der alten Musik. Hans Eberhard Hoesch und die Kabeler Kammermusik. Kassel: Bärenreiter 2012.
[In Sachen Pleyel-Cembali ist diese - im übrigen durchaus lesenswerte - Hommage an Hoesch leider unbrauchbar, da sie ohne Kenntnisnahme der Quellen erstellt wurde. Fotos schlechter als in der Dokumentation des Hagener Kulturrings von 1985!, kein Dokumenten-Anhang]
Weiteres:
- tel. Gespräche mit den Voreigentümern Dr. Klaus Weiler und Vertreterinnen des Silverberg-Gymnasiums Bedburg; mit Dr. Ursel Niemöller geb. Stoltenberg und mit Prof. Dr. Klaus-Wolfgang Niemöller (2008; mit Prof. Dr. Dieter Gutknecht (der Zugang zur Hoesch-Villa hatte); mit Wolf Dieter Neupert, mit diversen Archivaren, mit Dr. Barbara Willer Ende November 2008; mit dem Hoesch-Sohn Jan Hoesch am 21. Februar 2015.
- 13. November 2009 bis 28. Februar 2010 Sonderausstellung SIM/PK Berlin "Die Dame mit dem Cembalo. Wanda Landowska und die Alte Musik" aus Anlass des 50. Todestages und des 100. Jahrestages des Erscheinens ihrer Schrift "Musique ancienne"; Deutsches Rundfunk-Archiv (Hg.): Barocke Kostbarkeiten. Erstveröffentlichungen von Rundfunk-Aufnahmen 1936-1943: http://www.dra.de/publikationen/cds/musik/cd-mu04.html
Das Pleyel-Cembalo # 22 Modell Wanda Landowska der Sammlung Dohr in der Sonder-Ausstellung des Bachhauses Eisenach im Jahre 2011.