Mir ist der Besitz nötig, um den richtigen Begriff der Objecte zu bekommen. Frei von den Täuschungen, die die Begierde nach einem Gegenstand unterhält, läßt erst der Besitz mich ruhig unbefangen urtheilen; und so liebe ich den Besitz, nicht der besessenen
Sache, sondern meiner Bildung wegen und weil er mich ruhiger, und dadurch glücklicher macht.
[Johann Wolfgang von Goethe, 1812, zitiert nach Hermann Levi, Gedanken aus
Goethes Werken, München o.J., S. 60.]
Die Sammlung Dohr Köln – ein integrales Konzept
Dem Aufbau einer privaten Sammlung (von ca. 1998 bis 2016) historischer Tasteninstrumente ging seit 1985 eine rund sechsjährige intensive Beschäftigung mit den besaiteten Tasteninstrumenten der Instrumentensammlung des Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln voraus.[1] In dieser Zeit wurden die in zwei Fluren unklimatisiert gelagerten Instrumente[2] vermessen und für angemeldete Führungen hergerichtet. Ein Teilergebnis dieser Arbeit wurde in Form eines Kataloges publiziert.[3] Danach trat eine mehrjährige Pause ein.
Mehr als ein Jahrzehnt später entwickelte der Verfasser ein integrales Konzept, die verschiedenen Sparten seines Musikverlages (Fachbuch, Notenausgabe, Tonträgerproduktion, Öffentlichkeitsarbeit) mit einer eigenen Sammlung besaiteter Tasteninstrumente zu kombinieren. Eine erste Realisation und einen besonderen Höhepunkt erlebte das Konzept beim Rinck-Fest Köln 2003, das alle Sparten in wohl idealer Weise zusammenführte.[4] Dieses Konzept sieht sich im Einklang mit erfolgreichen, jeweils anders ausgerichteten Modellen an anderen Orten (Sammlung Beurmann, Hamburg; zudem die großen Sammlungen in Berlin und Nürnberg), vom alten Museumskonzept des bloßen Zurschaustellens eines Musikinstrumentes abzurücken und eine Re-Funktionalisierung desselben herbeizuführen. Mittlerweile (2014) sind gerade im privaten Bereich mehrere weitere Sammlungen mit ihren Konzepten in die Öffentlichkeit getreten.
Die Sammlung Dohr Köln trägt besaitete Tasteninstrumente zusammen unter anderem mit dem Ziel, Musik des späten 18. und besonders auch des 19. Jahrhunderts auf authentisch restaurierten Original-Instrumenten der jeweiligen Zeit im Konzert vorzustellen und auf Tonträger einzuspielen. Sie nimmt damit Teil an der Weiterführung der historisierenden Aufführungspraxis über das einige Jahrzehnte als Marke geltende Jahr 1800 hinaus und möchte damit die Kenntnisse über die Andersartigkeit des Klavierklanges gegenüber den modernen Instrumenten bis tief in das 19. Jahrhundert hinein verbessern.[5] Die dabei zum Vortrag kommende Musik erscheint meist parallel in kritisch revidierten Neuausgaben in der Edition Dohr[6]. Als weiterer wichtiger Zweig hat sich die Geschichte des Baus historischer Tasteninstrumente im 20. Jahrhundert entwickelt.
Die Sammlung Dohr Köln umfasst derzeit über 120 Instrumente aus der Zeit ab 1750: Clavichorde, Hammerflügel, Tafelklaviere, Sonderformen von Pia[ni]nos; Kielinstrumente aus der Zeit der Renaissance historischer Tasteninstrumente im 20. Jahrhundert; Modelle, stumme Übeklaviaturen und eine Fachbibliothek; seit dem zweiten Halbjahr 2015 - initiiert durch eine Schenkung des Düsseldorfer Konzertpianisten und ToyPiano-Pioniers Bernd Wiesemann (1938-2015) - eine Sammlung von ToyPianos (Kinderspielklaviere bzw. Kinderklaviere). Zum Konzept gehört es, möglichst exemplarisch Instrumente zu sammeln und zugleich auch regional (England, Frankreich, gesamter deutschsprachiger Raum; bei ToyPianos weltweit) eine weite Auffächerung zu erreichen. Neben Unikaten aus kleinen Manufakturen steht bewusst Massenware aus industrieller Fertigung, neben dem quasi unberührt original erhaltenen Instrument dasjenige mit bewegter, an seiner Substanz und seinem Erhaltungszustand ablesbarer Geschichte.[7] Das exemplarische Sammeln schließt ab einem bestimmten Punkt auch bewussst "Doubletten" ein - aus den verschiedensten Gründen, deren Erörterung hier den Rahmen sprengt.
Die Sammlung ist "europäisch" ausgerichtet und beherbergt Instrumente nicht nur aus den verschiedensten Regionen Deutschlands (Rheinland, Norddeutschland, Franken, Thüringen, Schlesien [heute polnisch], [Baden-] Württemberg, Berlin, München etc.), sondern auch aus Österreich (Anton Walter & Sohn, Wien; C. Graf, Wien, Johann Baptist Streicher & Sohn, Wien, Bösendorfer, Wien), England (Zumpe & Buntebart, London, Johannes Pohlmann, London, Christopher Ganer, London, William Stodart, London, Kirkman & Son, London, drei Instrumente von John Broadwood & Sons, London), Frankreich (Sébastien Erard, Paris, Francois Soufleto et Cie, Paris, Pleyel & Wolff, Paris, Pleyel, Paris, vier Instrumente von Jean Henri Pape), Lettland (Christian Erdmann Rancke, Riga), Dänemark (Steen Nielsen, Kopenhagen) und den U.S.A. (Virgil, New York; Schoenhut).
Zur Zeit[8] sind sieben Compact Discs, die auf drei verschiedenen Hammerflügeln der Sammlung Dohr eingespielt wurden, publiziert (weitere CDs sind in Produktion):
- Von der auf einem oberschlägigen Konzertflügel des Berliner Instrumentenbauers Theodor Stöcker[9] aus dem Jahre 1868 zur Ausführung kommenden Gesamteinspielung des Klavierwerkes von Friedrich Kiel (1821-1885) sind bislang vier von insgesamt sieben CDs[10] publiziert.
- Auf einem Hammerflügel des bis dato in der Fachliteratur unbekannten Rigaer Klavierbauers Christian Erdmann Rancke aus der Zeit um 1820/1825[11] wurden bisher ebenfalls drei Tonträger[12] eingespielt, zudem war das Instrument „Hammerflügel in residence“ beim Rinck-Fest Köln 2003 [13], kam bei Rundfunkaufnahmen zum Einsatz und bei weiteren Konzerten zum Erklingen. Eine vierte CD mit weiteren Klavierwerken von Johann Wilhelm Wilms erscheint 2016.
- Als drittes Instrument der Sammlung Dohr ist bisher ein Hammerflügel von Johann Baptist Streicher und Sohn mit Wiener Mechanik aus dem Jahre 1861 auf CD dokumentiert.[14]
- Als viertes Instrument wird der Konzertflügel John Broadwood & Sons, London 1865 dokumentiert; mit ihm ist eine CD mit Klaviermusik aus der Mitte des 20. Jahrhunderts von Johann Lütter erschienen.
- Auch Kopien historischer Tasteninstrumente sind für CDs herangezogen worden.
Eine Compact Disc mit Klaviermusik aus den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts, gespielt auf einem Tafelklavier, ist in Planung.
Erstmals auf CD zu hören ist der Nachbau des Clavichords Wilhelm Heinrich Baethmann 1799 durch J. C. Neupert, Bamberg. Auf dem in der Sammlung Dohr befindlichen Instrument, gebaut 1999, spielte Oliver Drechsel für das Label Dohr Klaviersonaten von Christian Gottlob Neefe ein (2005/06). Diese CD ist derzeit lediglich zusammen mit dem Notenband (Neefe: Klaviersonaten = Denkmäler Rheinischer Musik Vol. 10/11) erhältlich.
Christoph Dohr
[1] Eine vom Verfasser in den Jahren 1985/86 vorangetriebene Arbeit Zur Geschichte des Baus besaiteter Tasteninstrumente in Köln wurde nicht abgeschlossen. Sie entstand in der parallel zur Gründung der Kölner Philharmonie (1986) losgetretenen öffentlichen Diskussion des Wiedererstehens eines Kölner Musikinstrumentenmuseums in der Nachfolge der Sammlung Heyer, die aufgrund des damaligen Desinteresses der Kölner Kulturpolitik von den Heyerschen Erben in den 1920er Jahren nach Leipzig veräußert wurde. Die Diskussion verlief in den 1980er Jahren im Sande. Bis heute gibt es kein öffentliches Interesse an einem Musikinstrumentenmuseum in der Musikstadt Köln.
[2] Die Sammlung ist derzeit auf Anmeldung und im Rahmen der "Konzerte in Haus Eller" öffentlich zugänglich.
[3] Christoph Dohr, Die Instrumentensammlung des Musikwissenschaftlichen Instituts zu Köln, in: Werner Schäfke (Hg.): Die Musikinstrumentensammlung des Kölnischen Stadtmuseums, Köln: Stadt Köln und Kassel: Verlag Merseburger 1993, S. 19-44. Dem heutigen, fortgeschrittenen Wissensstand gemäß sind vor allem mehrere der im Katalog gemachten Datierungen zu korrigieren.
[4] Der Deutsche Musikverleger-Verband (DMV e.V. Bonn) würdigte das Konzept durch die Verleihung des Sonderpreises für außergewöhnliche verlegerische Leistungen des Deutschen Musikeditionspreises 2004, überreicht am 31. März 2004 im Rahmen der Frankfurter Musikmesse durch den hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst, Udo Corts.
[5] Hierzu gehört nicht nur das Konzertieren auf historischen Originalinstrumenten, sondern auch das Gegenüberstellen der verschiedenen Klänge innerhalb eines Konzertes. Als Pionier für dieses Konzept der Gegenüberstellung mag der Pianist Ratko Delorko (Düsseldorf/Essen) gelten, der in den 1990er Jahren mit einer Sammlung historischer Tasteninstrumente auf Konzerttournee ging.
[6] Fortlaufend aktualisierte Informationen im Internet unter www.dohr.de.
[7] Ein Katalog der Sammlung Dohr Köln ist in Vorbereitung.
[9] Siehe hierzu die unveröffentlichte Studie: Heiko Schwichtenberg, Der Klavierbauer Theodor Stöcker aus Berlin. Magisterarbeit TU Berlin, masch, Berlin 1990. Theodor Stöcker hat einen Teil seiner Lehrzeit bei Jean Henri Pape in Paris verbracht, von dem nachfolgend ein in der Sammlung Dohr befindliches oberschlägiges Tafelklavier näher beschrieben wird.
[10] Johann Christian Heinrich Rinck, Klavierwerke Vol. 1, Oliver Drechsel : DCD009, 2002; ders., Klavierwerke Vol. 2, Oliver Drechsel und Wilhelm Kemper, Secondo: DCD011, 2003; ders., Klavierwerke Vol. 3, dies.: DCD013, 2004
[11] Eine ausführliche und reich bebilderte, wenn auch noch nicht erschöpfende Dokumentation zu Ranke, zum Instrument und zur Restaurierung enthält: Christoph Dohr, Christian Erdmann Rancke und sein Pianoforte. Köln: Verlag Dohr 2003.
[12] Johann Christian Heinrich Rinck: Klavierwerke Vol. 1, Oliver Drechsel , DCD018, 2002; J.Ch.H. Rinck: Klavierwerke Vol. 2, Oliver Drechsel und Egino Klepper, Secondo, DCD019, 2003; Johann Wilhelm Wilms: Klavierwerke Vol. 2, Oliver Drechsel , DCD025, 2004.
[13] Programm zugänglich in: Johann Christian Heinrich Rinck, Dokumente zu Leben und Werk, hrsg. von Christoph Dohr. Köln: Verlag Dohr 2003, Anhang 1.
[14] Franz Wüllner, Kammermusik; DCD020, 2003. Alle erwähnten CDs sind im Dohr-Verlag erschienen.
auf Instrumenten des Pianomuseums