1910 (ca.) | Dulcitone ("Stimmgabelklavier") Thomas Machell & Sons (Glasgow) #1984 (ca. 1910) [gelabelt Dyson & Sons, London, #430]
Charakteristik: Das Dulcitone (nicht zu verwechseln mit dem ähnlichen "Typophon") ist ein Tasteninstrument aus der Gruppe der Idiophone: Eine oberschlägige, vom Bau besaiteter Tasteninstrumente (vgl. Nanette Stein, Jean Henri Pape, Theodor Stöcker) entlehnte Mechanik mit befilzten Hammerköpfen schlägt Stimmgabeln an. Wie bei besaiteten Tasteninstrumenten werden diese Stimmgabeln per Einzeldämpfung gedämpft; zudem ist auch eine vollständige Dämpfungsaufhebung per Pedal möglich. Das Instrument ist recht leise. Das Dulcitone hat annäherungsweise die Form und das Volumen eines (kleinen, frühen) Tafelklaviers bzw. der transportablen Harmonium-Instrumente der Zeit.
Firmengeschichte: Das Dulcitone wurde von Thomas Machell 1864 in Glasgow erfunden und gilt als Vorläufer der von Auguste Mustell 1886 erfundenen und von Schiedmayer (heute u.a. auch von Yamaha) weiterentwickelten Celesta. Das Dulcitone wurde wohl bis in die 1920er-Jahre in drei Größen gebaut: dreieinhalb, vier und fünf Oktaven Ambitus. Siehe den Werbeprospekt der Firma von 1925 (PDF).
Die Firma Dyson & Sons existierte als Händler in London von ca. 1897 bis ca. 1929. Jens-Uwe Witter weist zudem Dyson & Sons gegründet 1867 in Croydon nach (bis 1909). Das vorliegende Instrument scheint laut eingeschlagener Lettern und der Signierung in Bognor gebaut zu sein. Die kombinierte Ortsangabe "Croyden & Bognor" ist derzeit nur durch dieses Dulcitone dokumentiert. Die drei im Instrument nachweisbaren Nummern 116, 430 und 1984 könnten damit zu tun haben, dass Dyson & Sons auch Klaviere produzierte und es vielleicht einen eigenen, zusätzlichen Nummernkreis für Dulcitone gab. Die von Andreas Beurmann angegebene Datierung lässt sich nicht durch Abgleich mit gesicherten Seriennummern verifizieren, da solche nicht bekannt sind.
Identifikation: Ein Vergleich mit original signierten Instrumenten von Thomas Machelol & Sons zeigt, dass dieses Exemplar der Sammlung Dohr (vormals Sammlung Beurmann) umsigniert wurde. Die ursprüngliche Signatur vom Hersteller auf der Tastenklappeninnenseite wurde bis auf die Typenbezeichnung "Dulcitone" entfernt und stattdessen die Signatur des Händlers (cf. Vermieters) appliziert. Das Instrument zeigt sich heute wie folgt:
Signatur auf dem Resonanzboden unter der Dämpfung: "Machell". Signatur auf Innenseite des Notenpults: "DULCITONE / [Wappen der englischen Könige: Dieu et mon Droit / Honi soit qui mal y pense / by Appointment] / Dyson & Sons / Croydon & Bognor".
Instrumentenrückwand mit Laubsäge-Arbeit, Größe 450 mm breit x 150 mm hoch x 1/2 Zoll stark: "Dulcitone" in Schreibschrift, mit Tuch hinterlegt
Eingeschlagene Lettern (zwei Schlagstempel) und Ziffern (ein Schlagstempel) auf der Oberkante der rechten Korpuswand, lesbar von Instrumentenmitte aus: "DYSON & SONS" - "BOGNOR" - "430"; eingeschlagene Ziffern auf der Kante des vorderen Tastaturraumdeckels, auf der Unterseite des hinteren Deckelteils, auf der Oberkante links der Korpusrückwand: 1984; handschriftlich in Blei auf der Vorderseite des Mechanik-Blocks: 1984; rechts auf Mechanikblock: "No. 116". Gedruckter Aufkleber mittig auf Mechanikblockvorderseite: "DULCITONE / Fitted / Regulated / Finished", dahinter Unterschriften bzw. Namenskürzel. Gedruckter Aufkleber links oben innen an der Korpusrückwand: "DULCITONE / Forks Fitted / Action Fitted / Finished / Passed", dahinter Unterschriften bzw. Namenskürzel; computergenerierter Papierstreifen, mit Tesafilm fixiert, auf Vorderseite des vorderen Tastaturraumdeckels: "Dulcitone, Dyson & Sons, London, um 1910 / Sammlung Andreas Beurmann Nr. 226", vor der zweiten Zeile hsl. ergänzt: "Aus:".
Daten
- Breite: 963 mm
- Tiefe: 374 mm
- Korpushöhe: 264 mm
- Gesamthöhe 795 mm
Instrument steht auf zwei unter den Korpus einklappbaren Beinpaaren (Beine jeweils mit Sprosse verbunden) mit quadratischem Grundriss. Am rechten vorderen Bein ist ein Richtung Instrumentenmitte weisendes hölzernes Dämpfungsaufhebungspedal angebracht, das mittels Pedaldruck (auf Zug mittels Kordel) die Dämpfung aufhebt.
- Untertasten: 137 mm sichtbare Länge, 49 mm vordere Untertasten-Länge; Belag: Kunststoff
- Obertasten: 80 mm Länge, Belag: Ebenholz
- Stichmaß: 497 mm
- Umfang: A1 a3 = 5 Oktaven, 61 Tasten bzw. Töne
- Stimmton: 440 Hz. [Wahrscheinlich wurde das Instrument nachträglich im Auftrag von Andreas Beurmann auf diese Höhe hochgestimmt.]
- 61 Stimmgabeln (oberste Stimmgabel abgängig), durch Schlagzahlen auf den Stimmgabeln durchgezählt.
- 49 Dämpferglieder (hoher Diskant ungedämpft), durch hsl. Bleistiftzahlen auf den Flanken der Dämpferglieder durchgezahlt.
Mechanik: einfache oberschlägige Stoßmechanik mit Auslösung, ohne weitere Regulierungsmöglichkeiten
Veränderung: ein Pedal: Dämpferaufhebung
Zustand bei Übernahme aus der Sammlung Beurmann: mäßig gut erhalten (deutliche Eingriff durch unsachgemäße "Reparaturen", bedingt spielbar: Nachregulierung und Ergänzung der fehlenden Stimmgabel für a3 erforderlich; Resonanzboden gerissen; Mechanik und Korpus unfachmännisch "geflickt".
Kurzcharakteristik: Erhaltene und vor allem spielbare Dulcitone gelten als museale Raritäten. Von diesem Exemplar hat Beurmann sogar digitale Sample Sets herstellen lassen können, die immer noch online angeboten werden.
Provenienz: Erwerb am 18. November 2014 aus der Sammlung von Prof. Dr. Andreas H. Beurmann (1928-2916), Schloss Hasselburg/Ostholstein. Dieser hielt Dyson & Sons für den Hersteller (Korrektur durch Recherchen von Jan Großbach, Frankfurt-Höchst, Mai 2023). Das Instrument hatte die Inv. Nr. 226 in der Sammlung Beurmann. Die von ihm mitgeteilte Seriennummer 430 ist die sofort sichtbare beim Aufklappen des Deckels und stammt wohl von Dyson & Sons; die Seriennummer 1984 hingegen ist erheblich häufiger, aber an zunächst unsichtbare(re)n Stellen vertreten.
Restaurierung: Grundlegende Restaurierung durch Jan Großbach (Frankfurt-Höchst) im Mai und Juni 2023; dabei Identifikation von Machell als Hersteller und Dyson & Sons als Händler/Vermieter. Beseitigung der nicht-originalen Teile und Ersatz durch dem Original entsprechende Teile. Nachbau der verloren gegangenen Stimmgabel im Diskant.
Literatur:
- James Blades: Celesta. in: The New Grove 6. Aufl. 1980, Bd. 4, S. 48; Jens-Uwe Witter: Dyson & Sons. in: Das Klavier-Lexikon, 2. Aufl. Schillingsfürst 2000, S. 183; englische und deutsche Wikipedia.
- Jan Großbach: Jenseits von Saiten. Das Dulcitone und andere Stimmgabelklaviere. [Beyond Strings. The Dulcitone an other Tuning Fork Pianos.] in: Europiano. Forum für Klavierbau und Klaviertechnik, Heft 3/2023, S. 29-37.